Mara die einfüßige Kohlmeise

Ein schöner, warmer Sommertag war der 29. 6. 91 Viele Vogeleltern lockten ihre Jungen aus dem Nest. Und sicher war es auch so bei unserer Kohlmeise Mara. Doch ihr Flug sollte nicht gelingen, denn um eines ihrer Füßchen hatten sich Haare gewickelt und je mehr sie sich befreien wollte, um so stärker verwickelte sie sich und der Blutfluß wurde immer mehr unterbrochen. Als sie dann das Nest verlassen wollte, stürzte sie ab und hing durch die Haare mit dem Moos am Nest und je mehr sie zappelte, desto mehr schnürten die Haare ab.
Als erst am Abend der kleine Vogel bemerkt und ich gerufen wurde, war das Füßchen bereits abgestorben und ganz schwarz. Ich versuchte trotzdem, einen Salbenverband anzulegen, in der Hoffnung, dass vielleicht doch noch wenigstens ein Teilstück durchblutet würde.

Mara ließ alles über sich ergehen und obwohl sie sicher Schmerzen hatte, fraß sie und zeigte so, dass sie leben wollte. Als ich nach einigen Tagen bemerkte, dass sich über dem abgestorbenen Teil eine Entzündung bildete und Mara auch sehr müde wurde, ging ich mit ihr zum Tierarzt und was ich ahnte, geschah - das Füßchen mußte amputiert werden. Mein kleiner Vogel war unglaublich tapfer und schon nach drei Tagen ging es wieder aufwärts.

Da Mara aber nicht im Nest sitzen wollte, ließ ich sie im Käfig so tun wie sie wollte und konnte, aber sie fiel dauernd vom Stängchen. Ich polsterte den Käfigboden und brachte die Stängchen in geringer Höhe an.

Von Tag zu Tag konnte sie besser mit ihrer Behinderung umgehen und bald schon hüpfte sie mit nur einem Fuß von einem Stängchen zum andern. Da sie aber nachts regelmäßig vom Stängchen fiel und ich Sorge hatte, dass sie sich auf dem Boden mit dem Kot infizierte, machte ich ihr ein Körbchen und setzte sie am Abend hinein und sie nahm es an. Schon am dritten Abend ging sie allein zum Schlafen in „ ihr Bettchen“ >>>

  Mara hat Besuch

Am 4.7. War Blut im Körbchen und als ich nach schaute sah ich, dass sich die Kruste am Fußstummel gelöst hatte und noch eine kleine Stelle nicht ganz abgeheilt war, doch durch die Salbe vom Tierarzt war auch dies in zwei Tagen heil.

Durch die Entzündung verlor Mara alle Schwanzfedern, auch der Bürzel und das Bäuchle war fast nackt und kahl und teils auch entzündet.

Es dauerte ein viertel Jahr bis sich die ersten Federn zeigten, aber die Schwanzfedern waren noch sehr mickrig und brachen immer wieder ab, auch zeigten sie Fehlentwicklungen und ich mußte sie entfernen, damit neue Federn nach schieben konnten. Am 15. 11. verlor sie nochmals die gesamten Schwanzfedern, obwohl ich ihr Federnwachstum mit Mineralstoffen und Vitamintropfen unterstützte.

Auch die Haut war noch nicht in Ordnung, sie zeigte schuppige Stellen . Ich machte ihr jeden zweiten Tag ein Bad mit leichtem Ringelblumentee und dazu im Wechsel noch Schafgarbe oder Zinnkraut und es lohnte sich - unsere Meise bekam ein schönes Gefieder und eine gesunde Haut.

Auch wurde sie sehr unternehmungslustig und sehr beschäftigt. Sie war überall zu finden und nichts war sicher vor ihr. Suchte ich kleinere Dinge, musste ich nur in ihrem Häuschen nachschauen und fand es dort.

Zum Fressen bekam sie zu den Körnchen auch Weichfutter ( Fett- Alleinfutter ) auch liebte sie Apfelstückchen oder auch mal ein Stückchen Banane. Da sie ja keine Nüsse und Kerne halten konnte, machte ich ihr Nüsse in ein Meisenknödel-Netz und machte dies an den Käfigstäben fest und Mara verstand auch bald diese Art der Nussmahlzeit und genoss es. Auch Spaghetti liebte sie, sowie Kanarie-körner und Kolbenhirse. Ab und zu bekam sie auch ein Mehlwürmchen das für sie Festessen war.


  Sie liebte es in meiner Nähe zu sein.

Wenn sie mich nicht sah rief sie ihr sehnsüchtiges“ tü tü tüüüüü und war erst zufrieden wenn sie mich sah oder hörte und dann war die Freude groß – und wie sich freuen konnte!

Kam ich ins Zimmer und rief nach ihr, bekam ich meist gleich Antwort. Manchmal ließ sie mich aber auch suchen und hatte eine Riesenfreude wenn ich sie dann fand.

Was sie über alles liebte war, wenn wir zusammen sangen. Auch wollte sie immer wieder einen Leckerbissen aus meiner Hand, dabei setzte sie sich vor mich hin und sperrte das Schnäbelchen, oder pickte an meinen Finger.

Was sie allerdings nicht liebte war, wenn ich sie in die Hand nahm, ich glaube das war deshalb, weil ich ihr doch oft weh tun musste. Es musste zwar sein, aber wie sollte mein kleines Kerlchen das wissen.

Mara war ein tapferer Vogel und trotz ihrer Behinderung flink und geschickt.
  < Meinen Zimmerbrunnen benützte sie gerne als Bad und freute sich wenn das Wasser an ihr Bäuchle sprudelte.

Sie machte vielen Menschen Freude durch ihr Sein und ihren Wechselgesang, den sie mit allen aufnahm und sich freute, wenn es jemand so gut konnte wie sie. Auch lernte sie neue Melodien - hatte sie genug gelernt, sang sie lautstark ihre eigene Version.

Sie merkte es ganz genau, wenn sie bewundert wurde und genoss dies regelrecht und sie spielte sich auf wie ein Kind das merkt, dass es im Mittelpunkt steht.

Im Sommer hängte ich ihr Häuschen in einen Baum und oft bekam sie dort von einer anderen Meise Besuch.

Als im Winter Vögel vors Fenster kamen, schaute sie ihnen zu, zeigte aber keine Unruhe, sonder ging an ihren eigenen Fressnapf und futterte auch. Ich konnte somit ihr Häuschen innen ans Fenster stellen, was manchen Vogel von außen reizte einen Eingang zu suchen. Für Mara war dies recht unterhaltsam!

Mara wollte nicht gerne allein sein, sie suchte die Nähe von Menschen und machte viel Freude und ich glaube, sie wusste es. Kinder mochte sie sehr gerne, sie benahm sich bei ihnen wie ein kleiner Clown und je mehr die Kinder lachten, desto ulkiger wurde sie.
< Ein beliebter Ruheplatz

Anfangs April konnte sie auf einmal nicht mehr gut fliegen, auch knickte ihr gesundes Füßchen oft ein und sie stürzte öfters ab. Ich dachte, dass sie sich dabei wehe getan habe und hoffte, dass es nur eine vorüber gehende Sache sei, zumal sie nach wie vor recht munter war, gut fraß und sang als ob nichts sei.

Anfang Mai wurden ihre Federn strohig und an der Seite an der ihr Füßchen amputiert war, brachen die Federn am Flügel nacheinander ab.

Im Glauben, es sei eine Mangelerscheinung, gab ihr zusätzlich Vitamin und Mineralstoffe, aber der Abbau ging weiter. Auch merkte ich, dass sie immer wieder überwarm war. Da sie aber immer noch gleich lustig war und auch gut fraß und sich gern irgend wo rein kuschelte, meinte ich es sei ein Nestgebahren. Als ich sie aber eines morgens badete, sah ich, dass ihr Fußstumpf dick, rot und sehr heiß war, auch der Bürzel zeigte wieder, wie am Anfang, eine eigenartige Verdickung und bald verlor sie auch wieder alle Schwanzfedern. Alle anderen Federn waren gut und hatten auch einen schönen Glanz.

Immer noch war unser kleiner Patient munter und fidel, fraß gut und zeigte auch kaum, dass es ihm nicht gut ging. Mara musste Schmerzen haben, aber sie ließ es nicht merken, nur suchte sie immer öfter einen Unterschlupf und saß gerne in einer weichen Mulde. Da sie sich nicht gerne untersuchen ließ, merkte ich erst spät, dass auch am Kopf und am gesunden Fuß so etwas wie kleine Furunkel waren, die zwar rasch abheilten, aber kleine Knötchen hinterließen.

Am 10. Mai ging es Mara das erste mal schlecht und sie suchte meine Nähe sehr stark, sang aber immer noch im Wechsel mit mir und begrüßte mich auch noch mit normaler Lautstärke. Was mir allerdings auffiel, sie hackte immer wieder wie verrückt auf etwas ein, vermutlich hatte sie Schmerzen. Am 11. Und 12. Mai war sie wieder tapfer wie zuvor, nur hatte sie viel Durst, obwohl sie nicht mehr überwarm war. Sie verlor auf einmal am Körper viele Federn, fast büschelweise, aber die Augen waren klar, die Nase frei und sie fraß das ihr angebotene Futter - allerdings mit Vorliebe feuchtes Weichfutter. Der Kot zeigte ab und zu eine eigenartige Farbe, war dann aber wieder normal.

Am 13. Mai ging es ihr am Morgen wieder schlecht, aber gegen mittag war sie wieder die Alte. Am Abend fraß sie sehr gut und sang noch mit mir, so dass ich glaubte die Krise sei überwunden. Sie suchte bald ihr Bettchen auf und schlief ruhig und fest. Um 20 Uhr meldete sie sich, fraß noch ihren geliebten Spaghetti und trank viel. Da sie in der letzten Zeit nicht mehr so oft fraß, hatte ihr einen kräftigen Trank angeboten, den sie sehr gerne annahm ( 1 Tr. Vitamin, Traubenzucker und Eipulver aufbereitet mit dem Wasser vom abgekochten Reis oder von Haferflocken) Danach setzte ich sie ins Bettchen zurück und sie schlief auch bald wieder ein.

Um 24 Uhr hörte ich, wie wenn sie an etwas erschrocken, aus dem Bettchen sprang. Sie saß auf dem Käfigboden und war ganz erlöst als ich Licht machte. Sie drängte sich regelrecht in meine Hand . Ich lies sie nochmals Trinken und setzte sie wieder zurück, dabei fiel mir auf. dass sie eine eigenartige Haltung hatte, so als hätte sie Schlagseite. Als ich sie besser hinsetzte wollte merkte ich, dass sie bereit war, weg zu gehen und so behielt ich sie dann in meiner Hand, was sie auch noch registrierte, denn sie kuschelte sich regelrecht hinein - setzte sich noch selbst zurecht, machte aber die Augen nicht mehr auf.

Als sie gut saß, merkte ich, dass das Herzchen nicht mehr schlug - Das Leben war ganz still weggegangen.

Mara hat in ihrem kurzen Leben so viele Menschen erfreut und sie genoss ihr ,dem Tot entrissenes Leben“, in vollen Zügen.

Dass ich sie so bald hergeben musste, machte mich traurig, aber ich war auch dankbar, dass sie, so ohne langes Leiden, gehen durfte.

Ich werde immer in Freude und auch in Dankbarkeit an sie denken!