Steli und Sabeth

Im Lichthof unserer Schule baute ein Amselpaar ein Nest. Es ging alles Gut bis die Jungen geschlüpft waren. Eine Krähe beobachtete das fleißige füttern der Vogeleltern und holte sich ein Junges aus dem Nest.

Eine Lehrerin erschreckte die Krähe, die daraufhin das Junge auf das Flachdach der Turnhalle fallen ließ, von wo aus es dann geholt und zu mir gebracht wurde. Ein zweites Baby muss wohl durch den Kampf mit der Mutter aus dem Nest gefallen sein. Beide Babys waren unverletzt und bei der Aufzucht unproblematisch. Sie machten gerade die Augen auf und hatten kleine Bürstchen an den Federkielen. Von Tag zu Tag, ja fast zusehends veränderten sie sich und es waren neue Fortschritte zu sehen - es war eine Freude!

Das Füttern ging ohne Schwierigkeiten, sie sperrten den Schnabel vom ersten Augenblick an und die Verdauung war bestens.

Steli und Sabeth nannten wir die Beiden nach der Schule St. Elisabeth , da viele Schülerinnen das zur Aufzucht Notwendige brachten, wie sollten da die Vögel nicht gedeihen bei soviel Liebe!

Wir hatten in unserem Lichthof ein überdachtes Stück, so dass wir die Beiden eigentlich von Anfang an draußen lassen konnten. Sobald sie die ersten Flugversuche machten, waren sie nicht mehr zu bremsen. Sie turnten und hopsten im Geäst und fielen auch mal kopfüber runter. Wenn ich zum Füttern kam war die Freude riesengroß - sie kamen angerannt und gierten mit weit offenen Schnäbeln und Flügelzittern nach Futter. Später zeigten sie wie elegant sie fliegen konnten und setzten sich mir zu Füßen um das wohlverdiente Mahl zu erhalten. Da sie ja auch lernen mussten das Futter selbst zu holen, fing ich bald damit an, aber sie wollten einfach weiter gefüttert werden und bettelten herzerweichend - ich mußte ganz schön hart mit mir selbst sein um nicht nach zu geben.

Sabeth stand vor mir, stellte die Augen, hopste energisch mit bestimmten Tonfall zwei Schritte auf mich zu und sperrte unmissverständlich den Schnabel. Ich legte das Futter auf den Boden und zeigte ihr:“ hier kannst du es holen“ Sie war beleidigt, kam aber mit der gleichen Geste wieder. Sie war nicht bereit zu fressen, obwohl sie schon längst picken konnte. Ich musste hart bleiben, was mir sehr schwer fiel. Nach dem dritten mal hat sie dann begriffen, und holte sich was da lag, aber sie versuchte es trotzdem immer
wieder, zumal sie ja zwischendurch auch wirklich noch ein Häppchen in den Schnabel bekamen, was für Beide Hochgenuss bedeutete.

Längst waren Beide soweit, dass sie hätten über die Mauer fliegen können, doch keine machte auch nur einen Versuch. Ich nahm mir vor in der nächsten freien Zeit auf die Mauer zu gehen und die Beiden mit einem Leckerbissen nach oben zu locken, um ihnen zu zeigen, dass die Welt hier weiter geht. - Doch plötzlich änderte sich was im Wesen der Beiden - Als ich zu ihnen kam, flogen sie mir nicht mehr entgegen, sie rannten wie verrückt im Garten umher, verkrochen sich, kamen wieder hervor und rannten wirr durcheinander. Ich stand und konnte nicht verstehen - hatte sie jemand erschreckt oder gejagt? Aber wer? - Ich ließ sie eine Zeit in Ruhe, aber das änderte nichts an der Situation - was war doch nur geschehen?

Am andern Morgen fehlte Steli. - Ich glaubte schon Sabeth hätte es geschafft Steli über die Mauer zu jagen, aber Sabeths eigenartiges Verhalten ließ mich das nicht glauben. Sabeth war noch verrückter wie am Tag zu vor - sie wollte mir was sagen, aber was? - Am Abend hatte sie Angst ihren Schlafplatz auf zu suchen, es war mir klar, dass irgend eine Gefahr war, - aber in welcher Richtung? Ich wollte sie einfangen um sie zu beruhigen, aber es gelang mir nicht.

Am andern Morgen war auch Sabeth nicht mehr da, aber Federn zeugten von einem Kampf!

Diese Feststellung war sehr hart für mich. Ich hatte sie gut vorbereitet auf die Gefahren jenseits der Mauer. Sie wussten was es heißt ins tiefe Wasser zu gehen, ich lehrte sie Angst zu haben vor Vierbeinern - sie reagierten nicht auf Menschen, sie kannten nur mich. Aber wie hätte ich sie schützen können vor den Krähen?

Es berührt mich heute noch wenn ich dran denke wie die Beiden mir sagen wollten, dass Gefahr für sie besteht und sie in Not sind und ich es nicht verstand. Bis dahin wusste ich auch nicht, dass Krähen noch so große Vögel schlagen.

Mein Versäumnis: Ich hätte die Beiden früher lehren müssen auf die Mauer und über die Mauer zu fliegen, sie hätten einen größeren Fluchtraum gehabt.